Klima-Mahner der ersten Stunde beim Fachgespräch Energiewende in Oberpframmern
„Begonnen wird, wenn der Landrat da ist!“ Und so eröffnete kurz nach sieben Uhr Robert Niedergesäß mit großem Elan das Fachgespräch Energiewende „Global denken - lokal handeln. Wie kann die Klimaschutzvereinbarung von Paris Wirklichkeit werden?“ in der Mehrzweckhalle Oberpframmern.
In seiner Begrüßung hob Niedergesäß besonders den hohen Konsens in den politischen Gremien des Landkreises hervor. So wurde das Klimaschutzziel 2030 vor zwei Jahren über acht Parteien hinweg einstimmig bestätigt und sogar noch erweitert. Eindrucksvoll nannte er auch die hohe Zustimmung der Gemeinden bei der Bewerbung um die Stromnetzkonzessionen. Er lobte das hohe bürgerliche Engagement und appellierte an die Besucher, sich von aktuellen Entwicklungen nicht demotivieren zu lassen.
Damit hätte er nicht besser überleiten können zu dem Referenten des Abends Professor Dr. Hartmut Graßl. Mit ihm konnten die interessierten Zuhörer aus dem ganzen Landkreis die Geschichte der Klimawandelforschung nacherleben, gewürzt durch die eine oder andere Anekdote von den Brennpunkten, die schließlich zu der Klimaschutzvereinbarung von Paris geführt haben.
Im November 1960 hörte Graßl das erste Mal von einem durch die menschlichen Aktivitäten verursachten Klimawandel. Das Thema ließ ihn nicht mehr los: Nach seiner Promotion 1970 in München führte ihn sein Weg über das Meteorologische Institut in Mainz nach Hamburg. Bis zu seiner Emeritierung wirkte er dort als Hochschullehrer an der Universität Hamburg und als Direktor des Max-Planck-Instituts für Meteorologie (MPI). Weitere wichtige Stationen waren in den 90er-Jahren die Enquête-Kommissionen „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre“ und „Schutz der Erdatmosphäre“ des Deutschen Bundestages. Von 1994 bis 1999 war Graßl Direktor des Weltklimaforschungsprogramms (WCRP) bei der World Meteorological Organization in Genf.
Als Mitglied und später Leiter im Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) setzte er sich dafür ein, dass Umwelt- und Entwicklungsprobleme in Deutschland wahrgenommen und verstanden werden.
„Als einer der ersten Politiker hat 1987 der damalige bayerische Ministerpräsident Franz-Josef Strauß die Bedeutung des Themas erkannt“, berichtet Graßl. Dass es 29 Jahre später, im November 2016, zu einem völkerrechtlich verbindlichen Vertrag zum Klimaschutz für fast alle 195 Vertragsstaaten der United Nations Framework Convention on Climate Change (UNFCCC) gekommen ist, sieht Graßl begründet in der Freiwilligkeit der Ziele, aber auch in der Erfolgsgeschichte der Photovoltaik. Der hohe Wert des Vertrages bestehe darin, dass erstmals Ziele klar formuliert wurden: Die maximale mittlere globale Erwärmung soll wesentlich unter 2°C bleiben, in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts soll Treibhausgasneutralität erreicht werden, mindestens 100 Milliarden USD pro Jahr sollen für Anpassung an den Klimawandel und den Klimaschutz in den Entwicklungsländern zur Verfügung gestellt werden und schließlich muss eine Kompensation von Verlust und Schäden durch den anthropogenen Klimawandel erfolgen. Ein großer Schritt nach vorne ist auch, dass jedes Land über seine Fortschritte berichten muss und alle Berichte geprüft werden.
Wie die Pariser Ziele konkret erreicht werden können, dafür führte Graßl Beispiele, aber auch grundlegende Bedingungen an. Zum Beispiel sieht er es als unabdingbar an, dass 80 Prozent aller fossilen Ressourcen ungenutzt, d.h. im Boden bleiben. Wichtige Pfeiler für Treibhausgasneutralität sieht er in der Biologischen Landwirtschaft, in der Pflege von Wäldern sowie auch in CO2-Speichern, möglicherweise auchh in der CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS-Technik). Kompensationsprojekte in Entwicklungsländern, finanziert durch die Hauptverursacher, können beispielsweise die Förderung von Mangrovenwäldern als Kohlenstoffsenken sein. Skeptisch sieht Graßl Ausgleichszahlungen für Schäden durch Klimafolgen, denn das bedarf Gerichtsurteile, die die Ursache etwa von Tropenstürmen eindeutig dem Klimawandel zuordnet. „Wann das passiert – wer weiß?“
Anhand von Karten und Schaubildern demonstrierte Graßl den Stand der Klimaveränderung: CO2-Zunahme und Temperaturanstieg, Veränderungen der Niederschlagsmengen und Anstieg des Meeresspiegels infolge des gestörten globalen Kohlenstoffkreislaufes, außerdem die Anteile und Wirkung weiterer Treibhausgase, die im Kyoto-Protokoll benannt wurden, wie Methan, Lachgas, teilhalogenierte Fluorkohlenwasserstoffe, perfluorierte Kohlenwasserstoffe und Schwefelhexafluorid.
Im Durchschnitt ist 1 Grad Celsius Erderwärmung bereits erreicht, in höheren Lagen wurde auch schon eine Erwärmung von durchschnittlich 2 Grad gemessen. Die restlichen 0,5 Grad Celsius zum sehr ehrgeizigen Ziel von maximal 1,5 Grad sind bereits vorprogrammiert, denn das Klimasystem reagiert wegen der Ozeane und Eisgebiete träge.
Bei aller Dramatik der Entwicklungen konnte Graßl, einer der ersten Mahner vor dem Klimawandel, aber auch Erfolgsansätze melden. Gerade die für ihre Emissionen so häufig gescholtenen Chinesen haben in einem Jahr mehr Photovoltaik zugebaut als alle anderen Länder der Erde zusammengerechnet. Trotz eines Wirtschaftswachstums von 3 Prozent verläuft die Kurve des CO2-Ausstoßes in den Jahren 2014 und 2015 horizontal auf einem Plateau. In den USA, China und Russland sanken die Emissionen. Auch der Wert für die CO2-Emissionen pro Wertschöpfung sinkt kontinuierlich, besonders rasch in China. Mittlerweile wird weltweit mehr in Erneuerbare Energieanlagen investiert als in fossile. Trotz der erst kürzlich veröffentlichten Zahlen mit einem Anstieg des CO2-Ausstoßes im Jahr 2016 sieht Graßl auch für Deutschland positive Grundbedingungen: Kein Öl, wenig Kohle, fast keine Gasproduktion – und dazu ein entschlossener Ausstieg aus der Kernkraft. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz war das Erfolgsmodell für den Marktdurchbruch der Photovoltaik. „Die Zivilgesellschaft ist der entscheidende Punkt. Sie nimmt ihr Geld in die Hand und tritt gegen die Energiegesellschaften an.“
In der Diskussion mit den engagierten Zuhörern wurden weitere Aspekte beleuchtet. Solartechnik als Friedensdividende, die auch ärmeren Ländern eine bessere Energieversorgung ermöglicht und Konflikte ums Öl vermeidet. Große Potenziale durch Energieeinsparung und Effizienzsteigerung müssen vorrangig gehoben werden. Beim erfolgreichsten teil der Energiewende, der Stromproduktion, spielen aber auch Potenziale durch Lastganganpassungen und Umverteilungen eine wichtige Rolle. Ein weiterer Erfolgsfaktor in Ergänzung zur Solarenergie ist auch die Windkraft.
Noch klafft eine große Lücke zwischen den summierten freiwilligen Verpflichtungen aller Länder, die noch keineswegs für das Ziel der Treibhausgasneutralität gemäß der Vereinbarung von Paris reichen. Bei der 24. Vertragsstaatenkonferenz 2018 muss über erhöhte Verpflichtungen diskutiert werden; kein Vertragsstaat darf dabei unter die bisherigen Verpflichtungen absinken.
Noch sei das Ziel der Paris-Vereinbarung erreichbar – mit dem „Haupthelfer der billigen Sonne“. Global denken, aber lokal handeln – wir alle müssen und können unseren Beitrag zum Klimaschutz leisten, damit die Vereinbarung von Paris Wirklichkeit wird. „Mir ist nicht bange angesichts des politischen Geplänkels“, so Graßl am Ende seines engagierten Vortrages, „das Umschalten auf Erneuerbare Energien ist so sicher wie das Amen in der Kirche!“